Die Paarberatung

In Westdeutschland kam es nach Verabschiedung der Notstandgesetze zu einem raschen Abflauen der 68er Proteste. Die wachsende Mutlosigkeit und Enttäuschung vor dem Hintergrund der in die Krise geratenen Politik führte Mitte der 70er Jahre unter den Männern der Neuen Linken zu einer in die Krise geratenen Männlichkeit, einem Nachdenken über Machismo und Masochismus und zu zerreißenden Geschlechterkonflikten. „Viele waren so erbost über die Frauenbewegung, dass sie nicht weniger, sondern mehr Frauenverachtung an den Tag legten“ (Herzog 2005, 282f). Frauenverachtung war in gewisser Weise integraler Bestandteil der sexuellen Revolution, wie es auch in dem bekannten, antiautoritären, männlichen Slogan „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ zum Ausdruck kommt.

Die politische Niederlage führte zu einer festgefahrenen Situation zwischen Männern und Frauen, in der die „angeblich unversöhnlichen Gegensätze zwischen den Geschlechtern für alle Schwierigkeiten herhalten“ mussten (Herzog 2005, 286). Fast unvermeidlich führte dies zu Spannungen in den Partnerschaften, die nun besonderes Gewicht bekamen.

Unglückliche Liebes- und Sexualbeziehungen („Beziehungskisten“) waren weit verbreitet. Ende der 70er, Anfang der 80er erschienen Sonderhefte zum Thema Sexualität (z.B. Sonderheft Sexualität Konkret, 1979). Lustverlust machte sich breit. Männer und Frauen hatten nicht wesentlich häufiger Sex als vor Einführung der Pille zwanzig Jahre zuvor (Benard & Schlaffer (1985): Viel erlebt und nichts begriffen. Die Männer und die Frauenbewegung“ - nach Herzog 2005, 291).

Kritisch und politisch denkende Psychoanalytiker schrieben Bücher über die in die Krise geratenen Paar- und Familienbeziehungen (z.B. von H.E. Richter: Patient Familie (1972), Die Gruppe (1972), von J. Willi: Die Zweierbeziehung (1975). Richter aus Deutschland, Willi aus der Schweiz, Strotzka aus Österrreich gaben 1976 das Buch „Familie und seelische Krankheit“ heraus und gründeten die deutschsprachige „Arbeitsgemeinschaft für Familienforschung und Familientherapie“.

(Aus: Fernkorn, E., Haid-Loh, A., Hufendiek, S., Meyer, A., Merbach, M und Volger, I. (EZI Berlin), Bewahren und Verändern – 1964 bis 2025.Die Entwicklung der Fort- und Weiterbildung des Evangelischen Zentralinstitutes als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.)