Die Matterhornstraße

Der Hintergrund für dieses Konzept hat eine pragmatische und eine psychologische Komponente: Nachdem das Gebäude nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr als Sitz des Amerikanischen Stadtkommandanten dient, wird es von der Evangelischen Kirche übernommen und als Wohnheim für Schülerinnen und Schüler aus der DDR ausgebaut, denen aus politischen Gründen der Schulbesuch in der DDR versagt worden war. Zu diesem Zweck wird das Dachgeschoss zu einer „jugendherbergsähnlichen“ Unterkunft umgestaltet, in der die Jugendlichen mit einem Herbergselternpaar zusammenleben.

Nach Gründung des Instituts 1964 stehen diese Räume nun dem Kursbetrieb zur Verfügung. Dies ist umso wichtiger, als zum damaligen Zeitpunkt eine Fremdunterbringung der Kursteilnehmenden aus organisatorischen (es gab keine ausreichende Hotelkapazität) und finanziellen Gründen (eine Fremdunterbringung hätte die Kursgebühren so erhöht, dass sie für die meisten Interessenten nicht tragbar gewesen wären) nicht möglich gewesen wäre.
Die psychologische Komponente dieser Arbeitsweise besteht in dem Wissen, dass sich in einer Ausbildungsgruppe, in der die Teilnehmenden über 12 Tage am Stück und über fünf Kursteile hinweg zusammenleben, psychosoziale Prozesse entwickeln, in denen sich sowohl die persönlichen inneren als auch die äußeren Lebenswirklichkeiten der Teilnehmenden widerspiegeln.

Die sich bei 12-tägigem Zusammenleben entwickelnden Dynamiken in der Gruppe aktivieren im Positiven wie im Negativen alte familiäre Beziehungsmuster: Im Zusammenleben in den nicht sehr komfortablen Doppelzimmern können leicht alte Geschwisterübertragungen aktiviert werden, ganz zu schweigen von dem Kampf um das morgendliche Duschen in den noch unkomfortableren Sanitäranlagen, die aufgrund ihres altertümlichen Zustandes keine Gewähr bieten, dass am Ende noch genügend warmes Wasser zum Spülen der gerade einshamponierten Haare vorhanden ist, wenn der bzw. die „Geschwister“ zuvor zu lange geduscht haben.

Auch die versorgende elterliche Ebene klingt immer wieder an, wenn nachts der Kühlschrank nach Essbarem durchsucht wird und das große Haus unter elterlicher Abwesenheit zu geschwisterlichem Zusammensein genutzt werden kann.
Insofern bildet dieses Lernkonzept durch seine Ermöglichung von Reinszenierungen die Basis für ein persönliches Erleben eigener Konflikthaftigkeit einerseits und auf der gruppendynamischen Ebene für das modellhafte Kennenlernen einer tiefenpsychologischen Arbeitsweise andererseits, die die Teilnehmenden pars pro toto für ihre zukünftige Tätigkeit in der Beratungsarbeit nutzen können.

(Aus: Fernkorn, E., Haid-Loh, A., Hufendiek, S., Meyer, A., Merbach, M und Volger, I. (EZI Berlin), Bewahren und Verändern – 1964 bis 2025.Die Entwicklung der Fort- und Weiterbildung des Evangelischen Zentralinstitutes als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.)